Annette Rettich
„Das Cello“, sagt Annette Rettich, „entspricht meinem Naturell.“ Der tiefe, wohlige Ton des Instruments vermittelt Ruhe. Welche Bedeutung die Sinneswahrnehmung für das eigene Wohlbefinden hat, ist der Tochter eines Bildhauers vielleicht schon früh vor Augen geführt worden. Womöglich hat sie auch die Spielhaltung am Cello besonders angezogen. Denn das Cello lehnt man an die Brust, man umarmt es gewissermaßen. „Cello spielen fördert das Körpergefühl. Man kann sich regelrecht einschwingen.“
Das Musizieren eröffnete Annette Rettich mit der Zeit neue Welten: „Man kann mit anderen Menschen Musik machen, interessante Leute kennenlernen und auch Halt finden in der Musik.“ Schon als Jugendliche führte das Cello sie viel auf Reisen. Mit siebzehn begann sie als Jungstudentin an der Hochschule für Musik / Abteilung Dortmund. An der Hochschule für Künste in Bremen brachte sie ihr Studium mit einem Diplom zum Abschluss, nicht ohne dort noch ein zusätzliches Studium im Fach Barockcello zu absolvieren. „Das Barockcello hat einen intimeren Klang“, meint sie. Sie ist diesem Instrument aus längst vergangenen Zeiten treu geblieben und tritt bis heute mit so renommierten Ensembles für Alte Musik wie dem Cölner Barockorchester und Anima Eterna Brügge auf. Im Art Ensemble NRW widmet sie sich dagegen dem anderen Ende der Musikgeschichte, der Neuen Musik.
Im Hintergrund ihrer großen Bandbreite als Ensemblemusikerin stehen vielfältige Erfahrungen, die sie als junge Musikerin im Bundesjugendorchester, im Orchester des Stadttheaters Gießen, im Orchester des Schleswig Holstein Festivals und in der Deutschen Kammerphilharmonie Bremen sammeln konnte. „Das Cello ist vielseitig“, betont Annette Rettich. „Es ist in großen Sinfonieorchestern wie auch in kleinen Kammermusikgruppen vertreten. Auch im Jazz und Rock spielt es eine Rolle. Es kann auch als Soloinstrument gespielt werden. In vielen Stücken bildet es aber den Untergrund, bestimmt das Tempo. Ich habe eine Vorliebe dafür.“
Die stilistische Vielseitigkeit der Musikerin offenbart sich in einem weiteren Schwerpunkt ihrer Arbeit auf der Bühne. Seit 2007 ist sie Mitglied der Gruppe „Die Grenzgänger“, mit der sie bereits fünfmal den Preis der Deutschen Schallplattenkritik erhielt. Zwischen Folkmusik, Rock- und Bluesband und Kabarett angesiedelt, steht im Mittelpunkt der Grenzgänger-Programme das deutsche Volkslied als mündlich überlieferte, die Jahrhunderte überdauernde Geschichte des Alltags der sogenannten “kleinen” Leute. „Musik“, so Annette Rettich, „kann ein großes Spektrum an Lebensgefühlen spiegeln. Ich verstehe sie als Sprache, in der sich Erfahrungen kristallisieren können.“ Das Cello kommt überdies der menschlichen Stimme sehr nahe - vom Bass bis hin zum Sopran -, und auch deshalb wirkt Cellomusik tief emotional.
Diese Potenziale des Violoncellos möchte Annette Rettich ihren Schüler*innen nahe bringen. Das Einüben technischer Grundlagen gehört selbstverständlich dazu. Doch schon früh darf, wer bei ihr lernt, Erlebnisse auch in Eigenkompositionen vertonen. Dass die Liebe zur Musik etwas Bleibendes wird, ist ihr als Pädagogin wichtig, auch wenn das Musizieren nicht zum Beruf wird.
Sie ist überzeugt: „Mit dem Cello kann man vieles sein.“